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Nägelkauen, Hautzupfen & Co: Wie man besser damit leben kann

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Immer wieder an einer Haarsträhne zupfen, die Haut an winzigen Unebenheiten aufkratzen, Nägel bis auf die Fingerkuppen kauen: Solche Handlungen gelten oft als schlechte Angewohnheiten – können aber Ausdruck einer psychischen Störung sein. Körperbezogene repetitive Verhaltensweisen, kurz BFRBs (engl. Body-Focused Repetitive Behaviors), betreffen rund 5 Prozent der Menschen. Bei vielen Betroffenen kommt Scham dazu. Doch man kann die Symptomatik besser verstehen und besser damit leben.Â
Normales Verhalten - bis es zu viel wirdÂ
«BFRBs sind keine bloĂźen Gewohnheiten oder Akte der Selbstverletzung», sagt die britische Neurowissenschaftlerin Clare Mackay von der Universität Oxford im Podcast «Speaking of Psychology» der American Psychological Association (APA). Grundsätzlich seien sie erst einmal Teil des normalen menschlichen Repertoires an Pflege- und Beruhigungsverhalten. Und «Menschen greifen häufiger zu diesen Handlungen, wenn sie gestresst oder ĂĽbererregt sind – oder auch, wenn sie sich langweilen.»Â
«Wir berĂĽhren uns selbst, um eine Stresssituation psychisch auszubalancieren», erklärt auch Martin Grunwald von der Universität Leipzig, wo er das Haptiklabor leitet: «SelbstberĂĽhrungen sind demnach der Versuch des Organismus, nach oder während einer psychischen Irritation wieder einen Zustand der psychischen Balance herzustellen.»Â
Bei Menschen mit BFRBs sei dieser normale Impuls quasi auĂźer Kontrolle geraten, beschreibt im APA-Podcast Suzanne Mouton-Odum, Verhaltenstherapeutin und BFRB-Expertin aus Houston: «Ich vergleiche es gern mit Schokolade – sie fĂĽhlt sich gut an, bis man zu viel davon hat.» Das Ziehen, DrĂĽcken oder Kratzen wirkt fĂĽr einen Moment beruhigend oder stimulierend – aber danach folgt oft Scham. «Man denkt, man sei schwach, hässlich oder willenlos. Aber das Gegenteil ist der Fall – man versucht, mit GefĂĽhlen zurechtzukommen», erklärt Mackay.Â
Die Ursachen fĂĽr BFRBs sind vielschichtig. Studien zeigen, dass familiäre Häufungen vorkommen und neurobiologische Faktoren eine Rolle spielen - es ist also keine Willenssache.Â
Der SchlĂĽssel: SelbstmitgefĂĽhl statt SelbstkontrolleÂ
In der Therapie geht es deshalb nicht darum, das Verhalten einfach abzustellen, sondern zu verstehen, was damit regulieren werden soll, warum man es also macht. Dazu ist wichtig zu wissen: «Wann passiert es, in welchem Zustand, in welcher Umgebung?», sagt Mouton-Odum.Â
Neben verhaltenstherapeutischen Techniken spiele das Auflösen von Scham eine zentrale Rolle. «Manche Patientinnen sind erst dann bereit, Neues zu lernen, wenn sie verstanden haben: Das ist kein seltsames oder ekliges Verhalten – es ist menschlich.»Â
Auch Mackay betont, wie wichtig SelbstmitgefĂĽhl sei. «Das Gegenmittel zu Scham ist MitgefĂĽhl – nicht Selbstdisziplin. Es bedeutet, sich mit Neugier statt mit Abwertung zu begegnen: Warum ist mein Drang heute stärker? Statt: Ich bin so dumm, ich hab’s wieder getan.»Â
Wer selbst bemerkt, dass er in akuten Stresssituationen knibbelt oder drĂĽckt, sollte es zunächst mit einem Entspannungstraining versuchen, rät Martin Grunwald. Wenn dieses Verhalten besonders häufig vorkommt und man es selbst weiter als problematisch empfindet, helfe eine Psychotherapeutin oder ein Psychotherapeut weiter, die oder der mit dem Thema Erfahrung hat.Â
Was Eltern wissen solltenÂ
Sind Kinder betroffen, kommt es besonders auf den Umgang der Eltern damit an. Sie beobachten das Verhalten beim Kind oft mit Sorge und reagieren mit Appellen wie «Hör doch auf damit!». Doch das verschlimmert die Scham. «Die entscheidende Frage ist nicht, wie man das Kind stoppen kann, sondern wie man ihm hilft, ohne Scham zu leben», sagt Clare Mackay. Eltern sollten den Fokus neu ausrichten: auf die Stärken und das SelbstwertgefĂĽhl ihres Kindes, nicht auf Haare oder Haut.Â
Hintergrund
Zu den sogenannten körperbezogenenen repetitiven Verhaltensweisen (engl.: Body-focused repetitive behaviors; BFRBs) gehören unter anderem das Bearbeiten der eigenen Haut (Skin Picking), Haareausreißen (Trichotillomanie), Nägelkauen sowie Wangen- und Lippenbeißen. Betroffene und Angehörige finden Informationen und Links etwa auf der Webseite des Vereins Skin Picking und Trichotillomanie e.V. unter https://bfrbs.de.
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(12.11.2025)

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